„Dynamische Zeiten“ für Diakonie und Caritas? – Auf- und Umbrüche in den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden in den 1960er-Jahren

„Dynamische Zeiten“ für Diakonie und Caritas? – Auf- und Umbrüche in den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden in den 1960er-Jahren

Organisatoren
Prof. Dr. Traugott Jähnichen (Bochum) in Verbindung mit der DFG-Forschergruppe Transformation der Religion in der Moderne an der Ruhr-Universität Bochum
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.05.2008 - 31.05.2008
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Von
Andreas Henkelmann, Lehrstuhl für Kirchengeschichte II, Kath-Theol. Fak., Ruhr-Universität Bochum

Die dritte Konferenz der an der Ruhr-Universität Bochum angesiedelten DFG-Forschergruppe „Transformation der Religion in der Moderne“ beschäftigte sich mit dem religiösen Wandel während der 1960er-Jahre im Bereich der Diakonie und Caritas. Wie schon bei den vorherigen Tagungen der interdisziplinären Forschergruppe folgte auch hier das Vorbereitungsteam einem mehrfach vergleichenden Ansatz, indem die einzelnen Panels interkonfessionell ausgerichtet waren und zudem eine internationale Sektion mit Referenten aus Dänemark, den Niederlanden sowie Belgien eingerichtet war. Dieser Ansatz ermöglichte einen breiten Zugang zu den zu untersuchenden Transformationsprozessen von Caritas und Diakonie. Ausgangspunkt des Workshops war die Beobachtung, dass der bundesdeutsche Sozialstaat mit der Verabschiedung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) im Jahr 1961 eine neue Dynamik entfaltete. Im Mittelpunkt der Tagung stand daher die Frage, wie diese Dynamik nach und nach auch die Ziele sowie die Mitarbeitenden-, Organisations- und Finanzierungsstrukturen der konfessionellen Wohlfahrtsarbeit veränderte.

Das erste Panel ging unter dem Titel „Expansion im Zeichen der Einbindung in den bundesdeutschen Sozialstaat“ der Struktur- und Organisationsentwicklung von Caritas und Diakonie nach 1961 nach.

Das erste Referat von PETER HAMMERSCHMIDT beschäftigte sich mit der Organisation und Finanzierung der Spitzenverbände der konfessionellen Wohlfahrtspflege um 1960. Hammerschmidt legte dar, wie der in Freiburg ansässige Deutsche Caritasverband (DCV) und die Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werks (DW) eine weitgehende finanzielle Unabhängigkeit von öffentlichen Zuweisungen anstrebten. Das erklärte finanzpolitische Ziel des DCV seit den 1920er-Jahren war eine drittelparitätische Finanzierung: ein Drittel sollte aus Verbandsmitteln, ein Drittel aus öffentlichen Mitteln und ein Drittel aus Eigenmitteln kommen. Dies gelang dem DCV allerdings nicht. Um die zunehmende Bedeutung öffentlicher Mittel zu verschleiern, wurde nur ein Anteil dieser Zuweisungen im Haushalt offen ausgeschrieben. Auch das DW kannte eine ähnliche „Verschleierungstaktik“. Beide, so Hammerschmidt, waren faktisch von öffentlichen Zuwendungen abhängig, auch wenn sie dies nicht nach außen zugeben wollten.

Das zweite Referat von EWALD FRIE setzte sich mit der Integration von Diakonie und Caritas in den expandierenden Sozialstaat auseinander, wobei sich Frie auf die katholische Seite konzentrierte. Frie betonte am Anfang seines Referats, dass die These einer neokorporatistischen Verschmelzung der Wohlfahrtsverbände und des Sozialstaates zwar zutreffend sein möge, aber einen entscheidenden Punkt nicht thematisiere, nämlich die innere Verbandsentwicklung der Caritas. Nach Frie verschoben sich hier die Gewichte hin zu den Diözesan- und Ortscaritasverbänden. Deren Entwicklung deutete der Trierer Historiker als tragische Erfolgsgeschichte. Die Caritas erfuhr so in den 1960er-Jahren einen Professionalisierungsschub und wurde zunehmend unabhängig vom ehrenamtlichen Engagement. Damit deutet sich allerdings auch eine gewisse Problematik an. Die Ablösung von gemeindlichen Bezügen stellte Frie dann vor allem am Abschied von den Gemeindekrankenschwestern und ihren Stationen heraus – allein im Bistum Trier gab es 1912 3.300 Schwestern mit 228 Niederlassungen. In den 1960er-Jahren seien viele dieser Stationen aufgrund des Schwesternmangels aufgegeben worden. Entgegengesetzt zum Bedeutungsgewinn der professionalisierten Caritas sei die Caritas in den Gemeinden eine Randerscheinung geworden.

Das zweite Panel fragte unter der Perspektive „Von der Barmherzigkeit zur gesellschaftlichen Mitverantwortung?“ nach den Folgen dieser Einbindung in den Sozialstaat für das Selbstverständnis der konfessionellen Wohlfahrtsverbände.

Als erster Referent untersuchte KARL GABRIEL diese Frage am Beispiel des Freiburger Caritaswissenschaftlers Richard Völkl (1921-2003) und seines 1968 erstmals veröffentlichten Ansatzes eines „sozialcaritativen Handelns der Kirche“.1 Gabriel hob die innovativen Elemente dieses Ansatzes hervor. Im Mittelpunkt stehe die Verwirklichung der sozialen Liebe, den Völkl als Dienst am Gemeinwohl in Gerechtigkeit und Liebe und so als bewusste Hinwendung zur Welt verstand. Mit Bezug auf das BSHG betonte der Caritaswissenschaftler zudem die Bedeutung einer personalen Hilfe. Gabriel sah aufgrund dieses Ansatzes eine Annäherung von Caritas als Grundfunktion und Werk der Kirche mit dem Selbstverständnis des Diakonischen Werkes und eine Parallele zwischen dem von Völkl geforderten sozial-caritativen mit dem sozial-diakonischen Handeln, auch, weil es in beiden Fällen um eine Überwindung des patriarchalen Helfens ging.

Ausführlich mit dem diakonischen Selbstverständnis beschäftigte sich im Anschluss GERHARD K. SCHÄFER. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand die grundsätzliche Frage nach der Verortung der Diakonie im Sozialstaat, das während der 1960er-Jahre intensiv diskutierte Spannungsverhältnis von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit und die damit verbundene Kontroverse um die gesellschaftliche Diakonie. Das BSHG von 1961, das dem Hilfesuchenden einen Rechtsanspruch einräumte, führte zu einer Verunsicherung gegenüber dem traditionellen Schlüsselbegriff der ‚Barmherzigkeit‘. Verstärkt wurde dieses Unbehagen durch das Konzept einer gesellschaftlichen Diakonie, wie es vor allem der Münsteraner Sozialethiker Heinz-Dietrich Wendland (1900-1992) entwickelte und das auf eine Humanisierung der Gesellschaft abzielte – was entsprechend kontrovers diskutiert wurde. Vor allem das DW sah seine eigene Arbeit diskreditiert, da durch Wendlands Konzeption die organisierte Diakonie ihre Berechtigung verlöre. Als Reaktion darauf wurde 1960 ein forschungswissenschaftliches Institut des DW in Bonn gegründet und 1965 neue Leitsätze über „Wesen und Gestalt der Diakonie“ erstellt, die für die nächsten Jahre als Orientierung dienten.

Im dritten Panel wurden die Einblicke aus den ersten Referaten um eine transnationale Perspektive bereichert und die Entwicklung konfessioneller Wohlfahrtsverbände nach 1945 in Dänemark, Belgien und in den Niederlanden analysiert.

Als erste Rednerin stellte LISELOTTE MALMGART die christliche Sozialarbeit in Dänemark für den Untersuchungszeitraum dar. Im Vergleich zu Deutschland wurde in den Dänischen Kirchen kirchliche Sozialarbeit als nicht vorrangig betrachtet, da aufgrund einer anderen historischen Entwicklung des Skandinavischen Wohlfahrtsstaates auch aus theologischen Gründen das soziale Handeln als Aufgabe des Staates angesehen wurde. So überrascht es nicht, dass in einigen Wohlfahrtsbereichen sogar die Caritas eine größere Rolle spielte als die Diakonie. In den 1930er-Jahren befanden sich zehn Prozent aller Krankenhausplätze in katholischen Krankenhäusern, nur 2 Prozent in protestantischen, nach dem Vorbild der Kaiserswerther Diakonissenanstalt gegründeten Hospitälern. Gleichzeitig spiegelte sich in diesen Zahlen die geringe Bedeutung der freien Wohlfahrtsverbände wider, die im Bereich des Krankenhauswesens seit den 1990er-Jahren vollständig schwand. Malmgart betonte, dass es dagegen anderen Institutionen, etwa den Kirchlichen Stadtmissionen gelang, ihre Selbständigkeit und ihr diakonisches Profil zu wahren, in dem sie etwa mit der Arbeit von Obdachlosen Feldern besetzten, die vom Sozialstaat vernachlässigt waren.

Unter gänzlich anderen Voraussetzungen arbeitete die Caritas in Belgien, die von JAN DE MAEYER vorgestellt wurde. Auch dort expandierte der Wohlfahrtsstaat in den 1960er-Jahren. Allerdings spielt die Caritas bis heute im Wohlfahrtssektor Belgiens eine führende Rolle. 1910 zur Blütezeit der katholischen ‚Versäulung‘ lebten in Belgien allein 47.419 Ordensfrauen, die meisten von ihnen waren caritativ tätig. Der starke Rückgang und die beginnende Überalterung während der 1960er-Jahre – 1973 gab es nur noch 34.685 – deutet gleichzeitig einen dramatischen Transformationsprozess der Caritas an. Eine wichtige Folge des Nachwuchsmangels war dessen Kompensation durch die Anstellung von Laien, die die Professionalisierung des Wohlfahrtsstaates unterstrichen. Gleichzeitig machte sich, so de Maeyer, im Bereich der Kirche und der Caritas eine gewisse Demokratisierung und Pluralisierung sowie eine Dezentralisierung bemerkbar, was der Referent an der Entwicklung des Dachverbandes „Caritas Catholica“ verdeutlichte. Die ursprünglich hierarchisch geführte Gruppe wurde 1965 umstrukturiert und die Aufgaben auf größere Personengruppen verteilt.

Wieder ein anderes Bild präsentierte GEORGE HARINCK für die reformierte Sozialarbeit in den Niederlanden. Harinck hob vor allem die in den 1950er-Jahren stark wachsende Distanz zwischen den Reformierten Kirchen und der Gesellschaft hervor. Diese Distanzierung resultierte vor allem daraus, dass die Reformierten Kirchen nach dem Krieg und der Konfrontation mit dem Nationalsozialismus ihre gesellschaftliche Bedeutung für die Gesellschaft auch in einer bewussten abgrenzenden Haltung zu ihr wiederentdeckten. Deswegen wurde die Diakonie innerkirchlich in den Nachkriegsjahrzehnten aufgewertet und gleichzeitig im Sinne der Gesellschaftsdistanz auch umgebaut. Von einer Stütze des Staates wandelten sich die Kirchen auch in ihrer diakonischen Tätigkeit zu einer kritischen Autorität gegenüber dem Staat und der Gesellschaft. Dadurch fehlten den Kirchen aber die für Veränderungen notwendigen Allianzen in der Gesellschaft. In der Hoffnung, den Charakter der Gesellschaft zu verändern und unter ihrem diakonischen Einfluss Veränderungen herbeizuführen, führte ihre Kritik zu einer weiteren Schwächung und größeren Unsichtbarkeit der Kirche in der Gesellschaft.

Nach diesem Ausblick auf die Entwicklungsprozesse in europäischen Nachbarländern ging es im vierten Panel um Professionalisierungsschübe caritativ-sozialer Arbeit vor allem mit Blick auf die Bedeutung der Humanwissenschaften. Das erste Referat hielt hier DIETMAR KEHLBREIER, der die Entstehungsgeschichte der 1971 gegründeten Evangelischen Fachhochschule (EFH) Bochum, die gemeinsam von der Rheinischen, der Westfälischen und der Lippischen Landeskirche und dem Land Nordrhein-Westfalen getragen wird. Kehlbreier verstand diese Geschichte als Teil einer Professionalisierungsgeschichte, zu der auch gehörte, dass sich die neuen, nun in Bochum gelehrten diakonischen Berufsfelder – wie etwa die Sozialpädagogik – bewusst den Humanwissenschaften öffneten. Gleichzeitig betonte er, dass die Evangelische Fachhochschule ihre Arbeit nicht nur an den Kriterien des Wohlfahrtsstaates orientierte, sondern sie auch als Beitrag zu einer gesellschaftlichen Diakonie verstand, die im Referat von Gerhard K. Schäfer bereits erörtert wurde.

Im Anschluss daran stellten THOMAS ZIPPERT und BERNHARD FRINGS vergleichend die Entwicklung zweier Ausbildungseinrichtungen während der 1960er-Jahre vor. Zippert zeigte, wie die 1901 gegründete Anstalt Hephata in Treysa bis heute ein Konglomerat verschiedener Erziehungs- und Behindertenhilfeeinrichtungen geblieben ist. Die Umstrukturierung in den 1960er-Jahren brachte die Erprobung neuer Konzepte mit sich, wie die Gründung eines Jugenddorfes und die damit verbundene Einführung von Wohngruppen. Anfang der 1970er-Jahre wurde dann das Idealbild des hierarchischen Hausvaters bzw. der Hausmutter von geregelten, aufgabenorientierten Arbeitsverhältnissen abgelöst. Auch die beruflichen Ausbildungsgänge, die über drei der Anstalt zugehörige Schulen geregelt waren, wurden reformiert und höhere fachliche Standards eingeführt. 1967 entstand aus den Schulen die Höhere Fachschule für Sozialpädagogik. Pläne zur Umwandlung in eine Fachhochschule scheiterten nach heftigen Auseinandersetzungen allerdings, da sie von der Anstalt nicht mitgetragen wurden und so wurde 1972 aus der Höheren Fachschule eine Fachschule für Sozialpädagogik.

Die Entwicklung im katholischen Stift Tilbeck bei Münster, das 1881 als „Erziehungsanstalt für epileptische Kinder“ gegründet wurde, verlief anders. In den 1960er-Jahren fand im Stift Tilbeck kein wirklicher, auf humanwissenschaftliche Erkenntnisse sich berufender Professionalisierungsschub statt. Die Hausleitung blieb stark an traditionellen Strukturen orientiert, während das Bistum Münster zwar um die Reformbedürftigkeit wusste, aber aufgrund der Wirtschaftlichkeit des Hauses nicht energisch genug auf Veränderungen drängte. Erst ein 1968 vom neuen Generalvikar Lettmann in Auftrag gegebenes unabhängiges Gutachten führte zu Aufbrüchen. Die Öffnung des Stiftes in die Gesellschaft diente auch dazu, den Mitarbeitermangel zu entschärfen, da den Ordensschwestern der Nachwuchs ausging und die verbliebene Schwesternschaft zunehmend überalterte. Vor allem den älteren Ordensschwestern fiel es schwer, sich auf die Umbrüche in der Betreuung der Bewohner einzustellen, auch weil sich dadurch der Arbeitsaufwand wesentlich erhöhte. Abschließend betonte der Referent, dass nicht die 1960er-, sondern die 1970er-Jahre die dynamischen Zeiten für das Stift gewesen seien.

Die letzte Sektion führte die Thematik dieses Panels fort, indem sie nach Krise und Neuaufbrüchen bei den Mitarbeitenden in Diakonie und Caritas vor dem Hintergrund dramatischer Rückgänge in Ordensgemeinschaften und Diakonissenverbänden fragte.

Als erster Referent ging MARKUS LEHNER auf den Wandel im Selbstverständnis und in der Mitarbeitendenstruktur im Bereich der Caritas ein. Lehner hob die Veränderungen hervor, die das Zweite Vatikanische Konzil im Bereich der Caritas hervorgerufen habe. Caritas sei im Zuge des Konzils als Wesensaufgabe und Grundfunktion der Kirche entdeckt worden. Mit der Erneuerung des Diakonats wurde Caritas zudem in die Ämterstruktur der Kirche eingebunden. Gleichzeitig habe der Caritasverband aufgrund seiner im BSHG gesicherten Vorrangstellung eine eigenständige rechtliche Position und so eine gewisse Unabhängigkeit von der verfassten Kirche erhalten. Referenzpunkt für die Mitarbeitenden seien zunehmend fachliche Standards der jeweiligen Berufsgruppe geworden. Auch das caritative Ehrenamt sei, so Lehner, aus der Sphäre moralischer Aufrufe in das Feld professioneller Reflexion getreten. Als weiteres Zeichen für eine Professionalisierung wertete Lehner den Ausbau der Ausbildungsstätten. Auf den wichtigsten auch von Lehner betonten Umbruch in der Struktur der Mitarbeitenden, nämlich das starke Wachstum ‚weltlicher’ Mitarbeiter und der dramatische Rückgang an Ordensleuten bzw. Diakonen und Diakonissen gingen die folgenden Referenten weiter ein.

Im Anschluss daran untersuchte UTE GAUSE Mentalitätsveränderungen der Mitarbeitenden in Diakonie und Caritas aus der Gender-Perspektive. Die Leitfrage der Referentin lautete, ob die neue Frauenbewegung auch Auswirkungen im Bereich der Diakonie und Caritas ausüben konnte. Gause beantwortete diese Frage mit der These der „frommen Verspätung“, nach der sich die religiösen Frauengemeinschaften als ein besonders konservativ eingestelltes Milieu erst später als andere nicht-religiöse Frauenarbeitsbereiche mit den Folgen eines gesellschaftlich veränderten Frauenbildes auseinandersetzen mussten. Die Vorstellung eines „aufopfernden, weiblichen Dienens“ konnte sich aber auch hier langfristig nicht mehr halten. Speziell auf die caritativen Frauenkongregationen ging JOACHIM SCHMIEDL im folgenden Referat ein. Über die Gründe für das nachlassende Interesse am Ordenseintritt wurde schon in den 1950er-Jahren intensiv reflektiert. Caritasexperten erkannten eine verfehlte Ordenspolitik mit einer zu großen Streuung von Aufgaben. Der Referent verdeutlichte vor allem anhand statistischer Daten, dass der Schrumpfungsprozess bis heute nicht abgeschlossen ist. Trotzdem seien viele Frauenkongregationen heute immer noch von großer Bedeutung für die Caritas. Die Waldbreitbacher Schwestern führten in ihrer Trägerstruktur Einrichtungen mit 11.000 Angestellten.

MATTHIAS BENAD und NORBERT FRIEDRICH verdeutlichten am Beispiel der beiden größten evangelischen Einrichtungen zur Ausbildung von Diakonen und Diakonissen, wie der Nachwuchsrückgang besonders im weiblichen Segment, die Professionalisierung säkular geprägter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Mentalitätsveränderungen der 1960er-Jahre einen Wandel im Bereich der Diakonie bewirkten.

Abschließend lässt sich resümieren, dass die Dynamik des Wandels der konfessionellen Wohlfahrtsverbände in den 1960er-Jahren nicht nur national, sondern auch international enorm war und einen wichtigen Aspekt der Transformation der Religion darstellte, welche sich oft erst in den folgenden Dekaden in ihrem Ausmaß offenbarte. Diese Dynamik erfasste beide Konfessionen, so dass sich die These eines Angleichungsprozesses aufdrängt. Die konfessionellen Wohlfahrtsverbände standen gleichermaßen in der Gefahr, ihr spezifisches Arbeitspersonal zu verlieren. Das bedeutete allerdings zugleich eine Herausforderung. Auch die schon wesentlich früher einsetzende Professionalisierung, die in den 1960er-Jahren einen bedeutenden weiteren Schub erfuhr, dürfte dazu beigetragen haben, dass sich das spezifisch konfessionelle Profil abschliff. Gleichzeitig wurden beide angesichts der Öffnung der Kirche für die Welt von der Frage nach der Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Diakonie erfasst, so dass sich auch im Selbstverständnis Annäherungen zeigten. Gerade der letzte Punkt macht deutlich, dass man mit Vorsicht an die schnell behauptete Selbstsäkularisierungsthese herantreten sollte, da die bewusste Wert- und Kirchenorientierung außer Frage stand.

Kurzübersicht:

Sektion I: Expansion im Zeichen der Einbindung in den bundesdeutschen Sozialstaat – Struktur- und Organisationsentwicklung von Caritas und Diakonie nach 1961

Peter Hammerschmidt: Zur Organisation und Finanzierung der konfessionellen Wohlfahrtsverbände nach 1961
Ewald Frie: Die Integration von Diakonie und Caritas in den expandierenden Wohlfahrtsstaat

Sektion II: Von der Barmherzigkeit zur gesellschaftlichen Mitverantwortung? – Transformationen im Selbstverständnis von Diakonie bzw. Caritas in den 1960er-Jahren

Zur Caritas: Karl Gabriel
Zur Diakonie: Gerhard K. Schäfer
Jochen-Christoph Kaiser: Kommentar

Sektion III: Die europäische Vergleichsperspektive

Liselotte Malmgart: die christliche Sozialarbeit in Dänemark
Jan de Maeyer: Die Caritas in Belgien
George Harinck: Reformierte Sozialarbeit in den Niederlanden

Sektion IV: Professionalisierungsschübe sozialer Arbeit – Die Bedeutung der Humanwissenschaften für diakonisch-caritative Handlungsfelder

a) Die Gründung von konfessionellen Fachhochschulen
Dietmar Kehlbreier: Das Beispiel der EFH-Bochum
b) Die Auswirkungen der „Verwissenschaftlichung“ sozialer Arbeit an den Beispielen der Diakonie Hephata/Treysa und des Stiftes Tilbeck
Thomas Zippert: Hephata
Bernhard Frings: Stift Tilbeck

Sektion V: Krise und Neuaufbrüche bei den Mitarbeitenden in Diakonie und Caritas vor dem Hintergrund dramatischer Rückgänge in Ordensgemeinschaften und Diakonissenverbänden

Markus Lehner: Der Wandel im Selbstverständnis und in der Mitarbeitendenstruktur
Ute Gause: Mentalitätsveränderungen der Mitarbeitenden in Diakonie und Caritas
Joachim Schmiedl: Die Krise der Nachwuchsrekrutierung und Neuorientierungen in den sozialen „Orden“
Matthias Benad: Zum Umbruch und Mentalitätswandel der Mitarbeitendenstruktur in Bethel
Norbert Friedrich: Die Krise der Nachwuchsrekrutierung und Neuorientierungen in der Diakonissenanstalt Kaiserswerth

Anmerkung:
1 Vgl. Richard Völkl, Zum „sozial-caritativen“ Handeln der Kirche, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften IX (1968), S. 9-22.


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